Das bevorstehende Weihnachtsfest wird vielen ein Anlass sein, Gäste zu laden, die man mit einem festlichen Mahl zu überraschen und erfreuen gedenkt. Als soziales Wesen ist und isst der Mensch eben nicht gern allein und am besten schmeckt es nun einmal gemeinsam mit anderen, der Familie, guten Freunden oder Geschäftspartnern.

Grundkenntnisse über das unterschiedliche Essverhalten der präsumtiven Tischpartner können das gemeinsame Speisen zu einem lukullischen Erlebnis geraten lassen, ja sogar einen gefährdeten Abend retten, wenn ein einfühlsames Eingehen auf das Besondere oder Andersartige eines Gastes geraten ist. Aus diesem Grund seien hier die typischen Vertreter heimischen Essverhaltens kursorisch vorgestellt.

Beginnen wir mit dem Schlinger, einer weithin bekannten und gefürchteten „Fressmaschine“. Ihm sind alle Motive fremd, die über die bloße Bedürfnisbefriedigung hinausgehen. Die soziokulturelle Komponente des Essens, Etikette und Tischkultur sind ihm schlicht wurscht. Die Qualität eines Essens misst er ausschließlich an Menge und Verfügbarkeit. Gastronomische Raffinesse und Einfallsreichtum überfordern und langweilen ihn hoffnungslos. Ein gut gefüllter Trog (womit immer) und eine Schaufel decken alle seine Ansprüche. Er hasst Wartezeiten und anstrengende Tischgespräche. Um diesen Wüterich ruhig zu stellen, sollte man als Gastgeber immer wenigstens einen Korb Brot oder alte Semmeln bereitstellen. Sportlich beeindruckend ist das Verhältnis der aufgenommenen Speisenmenge zur Zeit der Nahrungsaufnahme. Von einem diesbezüglichen Wettkampf ist abzuraten. Ein Lob für die Robustheit seines Magens sichert Ihnen hingegen seine Zuneigung.

Da ist der Schlemmer schon von anderem Kaliber. Bleibt er auch quantitativ dem Schlinger nichts schuldig, duldet er bei der Qualität keine Abstriche. Köche und Servierpersonal lieben ihn. Die einen inspiriert er zu gastronomischen Höhenflügen, den anderen ist er ein großzügig sprudelnder Trinkgeldquell. In Gesellschaft Gleichgesinnter gerät ihm jede Jause zum Bacchanal, jedes Butterbrot zu einem delikaten Festmahl. Die Hüter von Anstand und die Ankläger der Todsünde „Völlerei“ stehen seinen „Fresskapaden“ allerdings ablehnend gegenüber; der Weg über Tischtuch und Teller in die Hölle ist bekanntermaßen kurz, steil und kalorienreich. Den wahren Schlemmer allerdings kümmert sein Seelenheil weniger als die Sorge, ein gutes Restaurant nicht zu kennen oder ein exquisites Essen verpasst zu haben. Darüber hinaus ist er ein angenehmer Tischpartner, der seinen Gastgeber der Pflicht zur gepflegten Konversation gerne enthebt.

Zu den unangenehmen Tischgenossen gehört hingegen der Sauertopf. Kaum eine Speise vermag ihm Anerkennung zu entlocken, was immer ihm serviert wird, scheint eine Zumutung zu sein. Seiner unbarmherzig stochernden Gabel entgeht nicht das geringste Fetträndchen, der kalt forschende Blick vermag in jeder Gaststätte blitzschnell Gästezahl, Raumtemperatur und Preis in Relation zur servierten Qualität zu setzen. Selten fällt diese Rechnung zugunsten des Wirtes aus. Schon vom Habitus her ledrig und saftlos, ist er unfähig zu genießen und anderen den Genuss zu gönnen. Das Spektrum seiner Reaktionen reicht dabei von einer angewiderten Miene bis zu lautstarkem Protest. Keine Suppe, in der er nicht ein Haar findet, kein Glas, an dem er nicht Lippenstiftspuren entdeckt. Diesen Typen kann man nur meiden und notfalls den Abend mit einer ungeschickten Suppen- oder Bratensaftattacke auf seine Kleidung retten.

Der Achtlose hingegen ist zwar ein liebenswerter Zeitgenosse, jedoch der Todfeind der feinen Küche. Seinetwegen stürzen sich ambitionierte Köche von hohen Felsen oder setzen sich frustriert zur Ruhe. Ihm ist alles Eintopf, sofern er nicht ohnehin aufs Essen vergisst. Vorzugsweise vergräbt er sich hinter riesigen Zeitungen, was ihm die Sicht auf das Angebotene und seine Tischgenossen verstellt. Spielt aber keine Rolle, weil er ohnehin weder riecht noch schmeckt, was auf dem Teller erfriert und kulinarische Fachgespräche hasst. Auch der wochenlange Verzehr von Marmeladebroten und verschimmeltem Streichkäse kann seiner Lebensfreude nichts anhaben. Anspruchs- und bedürfnislos futtert er sich durchs Leben, ohne jemals zu merken, was ihm entgeht. Viele leben allein oder mit einem Hund, mit dem sie nicht selten selbstlos den Fressnapf teilen.
Es hat keinen Sinn, ihn mit einer Expertise über die Zartheit des Entrecotes zu quälen oder mit ihm exotische Rezepte zu diskutieren. Er wird nicht folgen können, gestattet man ihm aber ein kurzes Colloquium über die Fraktale oder die Heideggersche Seinsfrage, hat man einen Freund fürs Leben gewonnen.

Text: Udo Fellner
Foto: Stefan Vladimirov

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