Liebe Leser!

Menschen lieben es, sich zu verändern, neue Wege zu beschreiten, unbekanntes Terrain zu erkunden. Mitunter lustvoll und voller Erwartung auf unverhoffte Entdeckungen und prickelnde Abenteuer. Doch Veränderungen können auch gefährlich sein, dem Wagemutigen können sich Abgründe auftun, dunkle Winkel und finstere Plätze auf den Ahnungslosen warten.
In den folgenden Geschichten möchte ich Sie an Orte führen, Gemeinplätzen gleich, die auf keiner Landkarte zu finden sind und die Sie nicht besucht haben müssen, um zu wissen, dass sie niemals dort gewesen sein wollen.

Man sollte meinen, es könne einem nichts Besseres widerfahren, als von der Liebe gefunden und überwältigt zu werden.
Der naiv Erwartungsvolle sei aber gewarnt. Es kann ganz schön gefährlich werden, sich arglos an Plätzen aufzuhalten, wo man Gefahr läuft, von derart frei vazierenden Gefühlen getroffen zu werden. Niemand ist davor gefeit, es kann überall geschehen.
Weder wirksame Schutzkleidung noch besondere Wachsamkeit können die heimtückischen Attacken verhindern. Die Folgen können verheerend sein. Es wird von bedauernswerten Opfern berichtet, die von der Wucht des Aufpralls gezeichnet, zeitlebens beschädigt durchs Leben wanken. Andere überstehen zwar äußerlich unbeschadet, doch liegt ein frostiger Schatten auf ihrem Gemüt, der sie stets begleitet. Wenigen gelingt es, rechtzeitig auszuweichen, nur Glückskindern fällt sie direkt vor die Füße ohne Schaden anzurichten.
Dann heißt es zupacken und die Beute in Sicherheit bringen. Nur dem rasch Entschlossenen ist der Erfolg gewiss, dem Zögernden entgleitet sie unerbittlich. Enttäuschung ist deren Los und schmerzvolle Erinnerung ihr Schicksal.
Die Vorsichtigen meiden daher Plätze, an denen mit einem Zusammenstoß zu rechnen ist, Niemandsland ohne Deckung, wie geschaffen für Hinterhalt und unerwarteten Überfall. Man erkennt die Gewieften an ihrem huschenden Gang und den misstrauischen Blicken, mit denen sie die Umgebung nach verdächtigen Anzeichen mustern. Besteht auch nur der leiseste Verdacht, Opfer eines heimtückischen Anschlages zu werden, ziehen sie sich blitzartig auf sicheres Terrain zurück, bereit zur Verteidigung. Sie wittern die Gefahr geradezu und bewegen sich an gefährdeten Plätzen so unauffällig wie möglich.
Man kann sie überall sehen, schattenhafte Existenzen, gezeichnet von den Anstrengungen des Überlebens, geübt im Ausweichen, Vermeiden und Tarnen. Die Welt ist ihnen ein Kriegsschauplatz, der Alltag vermintes Gelände. Überall sehen sie Spuren der Verwüstung, die raren Begegnungen mit den bedauernswerten Opfern ihrer unheilvollen Sehnsüchte bestätigen ihre schlimmsten Befürchtungen.
Sie selbst haben ihr Leben dem heroischen Kampf gegen die Liebe verschrieben und arbeiten verbissen an ihrer fragilen Freiheit und ihrem eremitischen Dasein.
In mühevollem Streben legen sie sich Panzer zu, in denen sie gefahrlos allen Anfechtungen widerstehen können. Ihre Wohnungen gleichen Trutzburgen, in die nur Gleichgesinnte Einlass erhalten.
Stolz und unbeugsam vertrocknen sie so in ihren sorgsam gepflegten Wüsten, beneidet von den glücklos Versehrten, verachtet von den risikobereiten Abenteurern. Es ist ein tragisches und letztlich erfolgloses Ringen.

Die Liebe indessen kümmert es nicht, sie ignoriert die Widerständigen und erobert Platz um Platz.

Text: Udo Fellner
Foto: Roman Kraft

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