Wo man singt, da könne man sich ruhig niederlassen, da, folgt man dem bekannten Volkslied, böse Menschen angeblich keine Lieder hätten.
Nun darf man vom Text eines Volksliedes, auch wenn es ein Gedicht des Aufklärers Johann Gottfried Seume zitiert, natürlich keine weltweise Aussage erwarten, dennoch verblüfft seine erschreckende Naivität.
Nicht nur, dass dem Gesang und vor allem den Sängern jegliche Neigung zu Niedertracht abgesprochen wird, stellt es der Kunst und ihren Protagonisten generell einen Persilschein aus, so als ob sie fern jeglicher menschlicher Handlungen und Motivationen agierten, quasi in einer Parallelwelt.
Es ist beinahe rührend, mit welcher Inbrunst uns der Text von der besänftigenden Macht des Gesanges überzeugen möchte. Gleich einem Orpheus, dem sich wilde Tiere zu Füßen gelegt haben sollen, sobald er zu singen anhob, könne man das Böse bändigen und einen Ort paradiesischer Unschuld schaffen.
Man stelle sich vor, welche Möglichkeiten zur Entkriminalisierung unserer Welt sich eröffneten, fände man nur das passende Liedgut. Mit der geeigneten Beschallung übel beleumundeter Stadtviertel könnte dem Verbrechen auf friedliche Weise Einhalt geboten und zugleich der dort oft grassierenden Bildungs- und Kulturlosigkeit begegnet werden. Mord und Totschlag würden der Vergangenheit angehören, Betrüger und Diebe zu netten Nachbarn, Huren und ihre Zuhälter zu liebenswerten Zeitgenossen, Autofahrer zu rücksichtsvollen Verkehrsteilnehmern, die Ghettos und Schlupfwinkel des Verbrechens zu lebenswerten Orten der Begegnung. Auf den Straßen und Plätzen böte sich ein Bild des Friedens mit spielenden Kindern, sorglosen Müttern, strebsamen Menschen, die im freundlichen Gespräch und gegenseitiger Hilfeleistung ihre Erfüllung fänden und ihre Tage in Frieden und Eintracht hinbrächten, stets ein freundliches Wort und ein fröhliches Lied auf den Lippen.
Die Polizei könnte ihre Arbeit darauf beschränken, alte Frauen sicher über die Straße zu geleiten oder entlaufene Katzen zu suchen. Lehrer, Schüler und deren Eltern würden sich in gegenseitigen Respektbezeigungen überbieten, Manager freiwillig auf ihre Boni verzichten, Politiker ihre Wahlversprechen einhalten, alle ehrlich ihre Steuern zahlen, die Katzen würden das Mausen lassen, Insekten und anderes Ungeziefer würden sich rasant vermehren, weil es niemand übers Herz brächte, sie zu bekämpfen – kurz, das Paradies würde ausbrechen, nein, gnadenlos über die Menschheit hereinbrechen und uns zu heiligen – Idioten deformieren.
Trotz da und dort liebevoll gepflegter Gesangskultur – nicht nur in Kärnten – konnte der Beweis der Wirksamkeit zum Glück noch nicht erbracht werden. So bleibt der sagenhafte Ort auch weiterhin ein Geheimnis des Textdichters.
Text: Udo Fellner
Foto: Steven Lasry