Eugen und Konstanze bewohnen ein kleines Häuschen mit Garten am Stadtrand, das sie vor einigen Jahren gekauft und nach und nach liebevoll renoviert haben.
Sie hatten zwei … nun, lebhafte Kinder, Vera und Gabor, sechs und acht Jahre alt, die ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchten.

Das erste Weihnachtsfest im endlich fertigen Haus sollte besonders stimmungsvoll werden. Eugen hatte erst vor wenigen Tagen einen neuen Parkettboden im Wohnzimmer verlegt und gerade rechtzeitig hatte der Tischler noch die Möbel geliefert. Konstanze hatte alles sauber gemacht und beide hatten den Kindern klar gemacht, dass die Kaninchen, die sie von den Großeltern bekommen hatten, nunmehr im Garten bleiben müssten.
Die beiden Lieblinge hielten sich vorerst allerdings noch versteckt und mussten erst gefunden werden. Auch den Weihnachtsbaum konnte Eugen noch rechtzeitig besorgen und Gabor hatte versprochen, ihm beim Schmücken zu helfen, während Vera mit ihrer Mutter Kekse backen wollte.
Eugen holte den Baum aus dem Keller und nachdem er seinem Sohn das Stemmeisen entwunden hatte, mit dem dieser dabei war, in den Parkettboden ein Loch für den Baum zu kerben, erklärte ihm Eugen den Zweck eines Christbaumständers.
Sie rückten den Baum in eine Ecke des Zimmers und begannen mit dem Aufhängen der Kugeln und Sterne. Eugen ermahnte Gabor, auf die Kugeln besonders acht zu geben und tatsächlich bemühte sich der Junge sehr und zerbrach nur vier. Als er nach den teuren, mundgeblasenen Kugeln aus Tschechien griff, schritt Eugen ein um sie zu retten, rutschte aber auf der Hinterlassenschaft eines Kaninchens aus und stürzte. Im Fallen riss er den Baum um, an dem er sich reflexartig festgehalten hatte und krachte auf das neue Sofa.
Gerade noch rechtzeitig konnte er den Riss im Stoffbezug mit einem Kissen verdecken, bevor ihn Konstanze entdeckte. Sie war aus der Küche herbeigeeilt, um den Grund des Getöses zu erkunden und wurde aus den Tiefen des Geästs mit einem beruhigend gemeinten „Nix passiert!“ wieder zurückkomplimentiert.
Eugen rappelte sich hoch, entfernte vorsichtig einige Glassplitter aus seinem Gesicht und erteilte Gabor den Auftrag, einen Eimer Wasser und einen Lappen zu holen. Dann stellte er den Baum wieder auf.
Einige Äste waren zwar geknickt und hingen traurig zu Boden. Er entfernte sie und drehte den Baum so, dass man die Lücke nicht bemerkte. Seufzend stellte er fest, dass vier weitere Kugeln zerbrochen waren, darunter auch zwei von den teuren tschechischen. Eugen kehrte die Scherben zusammen und warf sie in den Mülleimer.
Inzwischen war Gabor mit dem Wasser unter Hinterlassung einer ansehnlichen Tropfspur zurückgekommen. Gemeinsam putzten sie mit viel Schaum die Kaninchenscheiße vom Teppich und nachdem sie das Sofa etwas nachgerückt hatten, war davon nichts mehr zu sehen. Vom Kaninchen allerdings auch nicht. Dann setzten sie ihre unterbrochene Arbeit fort.
Ein schriller Schrei schreckte sie auf. Sie eilten in die Küche, woher er gekommen war. Dicker, beißender Qualm drang ihnen entgegen, aus dem zwei hustende und würgende Gestalten auftauchten. Mit einem Blick erkannte Eugen die Quelle des Übels. Eine formlose stinkende Masse quoll über die Herdplatte und tropfte auf den Boden. Er riss das Fenster auf und langsam verzog sich der Rauch. Nun konnte man auch erkennen, was geschehen war.
Vera hatte ihrer Mutter beim Backen helfen wollen. Dabei hatte sie die Plastikschüssel, in der Konstanze den Teig angerührt hatte, auf die Herdplatte gestellt, auf der kurz vorher noch Butter zerlassen worden war. Schüssel und Teig waren verloren, die Küche glich einem Schlachtfeld.
Konstanze jammerte, Vera brüllte und Eugen und Gabor verzogen sich verschreckt wieder ins Wohnzimmer.
Hinter dem Baum entdeckte Gabor eines der beiden Kaninchen und es gelang ihm es einzufangen und in den Garten zu setzen. Es musste inzwischen die Kerzen gefunden haben, denn die meisten waren angenagt und nur mehr als Stummel vorhanden. Sie ergänzten die vorhandenen weißen durch rote und blaue Kerzen, die aus den vergangenen Jahren übrig geblieben waren. Dann hängten sie noch Lametta über die Zweige.
Gabor bekam den Befehl, das zweite Kaninchen zu suchen und ebenfalls in den Garten zu bringen. Eugen ging in die Küche um Konstanze zu helfen. Mit steinerner Miene schabte sie die Reste der Plastikschüssel von der Herdplatte. Als Eugen vorsichtig meinte, das sei nicht so schlimm und seine Mutter würde ohnehin wie jedes Jahr Weihnachtskekse mitbringen, verfiel Konstanze in einen Schreikrampf und warf ihn aus der Küche.
Um sich nützlich zu machen, beschloss Eugen inzwischen die Geschenke einzupacken. Er sperrte sich im Arbeitszimmer ein, um nicht gestört zu werden. Das Weihnachtspapier mit dem hübschen Sternenmuster, das er am Vortag im Papiergeschäft gekauft hatte, war offensichtlich schon verwendet worden. Etliche Sterne waren ungelenk aus der Mitte des Papiers herausgeschnitten worden, womit es unbrauchbar war.
Wütend stürmte Eugen ins Kinderzimmer, wo Vera soeben bunte Papiersterne auf die Fensterscheiben klebte.
Plötzlich läutete es.
Eugens Eltern standen vor der Tür. Seine Mutter hielt eine große Dose Weihnachtsbäckerei in Händen und sein Vater machte verschwörerische Gesten, die Eugen auffordern sollten, mit ihm nach draußen zu kommen.
Die Mutter überschaute sofort die Lage und wollte Konstanze beim Putzen helfen. Doch die schüttelte nur stumm den Kopf. Die Kinder führten ihre Großmutter ins Wohnzimmer um ihr den Christbaum zu zeigen. Indessen trugen Eugen und sein Vater die Geschenke für die Kinder ins Schlafzimmer.
Dann baten sie alle zur Jause in die Küche. Die Keksdose lag offen auf dem Boden, alle Kekse waren verstreut und dazwischen saß das zweite Kaninchen und fraß sie auf. Immerhin hatten sie es nun gefunden.
Konstanze wollte sich mit einem Messer auf das gefräßige Vieh stürzen, wurde aber von den schreienden Kindern und Eugen daran gehindert. Das verängstigte Tier entwischte in Richtung Wohnzimmer, bevor es der Großvater ergreifen konnte. Dabei stolperte er und wäre beinahe in Konstanzes Messer gefallen, hätte ihn nicht Eugen am Arm festgehalten und zurückgerissen. Durch den Ruck löste sich der Ärmel vom Rest des Pullovers, was aber weiter nicht beachtet wurde, denn nun rannten alle hinter dem Kaninchen her, das, den Ernst der Lage erkennend, unter dem Sofa in Deckung ging. Als sie es vorsichtig beiseiteschoben, bemerkte Konstanze den unvollständig entfernten Rückstand von Kaninchen Nummer eins auf dem Teppich, was Eugen und Gabor giftige Blicke eintrug. Die dazugehörige Strafpredigt verkniff sie sich – vorläufig, wie Eugen wusste.
Das Kaninchen hatte sich indessen unter dem Sofa verbarrikadiert. Gabor lockte es mit einem Keks, doch es war nicht bereit, den schützenden Unterstand zu verlassen.
Eugen griff unter die Bank um es herauszuziehen und bekam es tatsächlich am Fell zu fassen. Das Kaninchen stemmte sich erst dagegen und quiekte jämmerlich, doch dann schlug es plötzlich seine Zähne in Eugens Finger. Der ließ es mit einem Schmerzensschrei los und es flitzte wieder davon. Die Kinder rannten hinterher, konnten es aber nicht finden. Es hatte sich wer weiß wo verkrochen.
Konstanze verband Eugens Finger, während seine Mutter vergeblich Großvaters Pulloverärmel suchte. Erschöpft beschloss man allen Ungemachs zum Trotz Heilig Abend zu feiern. Konstanze und die Großmutter legten ihre Geschenke unter den Christbaum und Eugens Vater entzündete die Kerzen. Dann riefen sie die Kinder.
Sie sangen „Stille Nacht“ und „Oh du fröhliche“. Eugen und Konstanze umarmten einander gerührt und wieder versöhnt und die Großeltern küssten die Kinder, die unerwarteterweise nicht um die Geschenke stritten.
Und als es keiner mehr für möglich gehalten hätte, senkte sich still und leise der Weihnachtsfriede auf das kleine Haus.
Und während ihn die Familie dankbar und zufrieden genoss, war das verschwundene Kaninchen unter dem Küchenkasten eifrig dabei, aus einem Pulloverärmel ein Nest für den erwarteten Nachwuchs zu bauen.

Nachsatz:
Eugen und Konstanze sind erfunden. Es gibt sie nicht wirklich, was wir ihnen in Anbetracht der Ereignisse auch von Herzen gönnen.

Text & Illustration: Udo Fellner
Foto: JESHOOTS.COM

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