Umstände, die nichts zur Sache tun, kam ich vor einiger Zeit in den Besitz eines Manuskripts, das meine Aufmerksamkeit erregte. Form und Inhalt des Schreibens ließen auf außergewöhnliche Umstände und einen mehr als merkwürdigen Autor schließen, der, um es vorsichtig auszudrücken, nicht von dieser Welt sein dürfte.

Das Manuskript ist eine, wie mir glaubhaft versichert wurde, seriöse Transkription eines sogenannten „extraterrestrischen Reports“, der ungenannte Übersetzer ein in Fachkreisen hochgeschätzter Experte.
Wie auch immer, der vorliegende Bericht entbehrt nicht zahlreicher und zum Teil grotesker Merkwürdigkeiten, die einen zumindest vorurteilslosen Zuhörer oder Leser erfordern.
Dieser „extraterrestrische Report“ scheint gewissermaßen eine Art Protokoll einer Reise zu sein und ist offensichtlich unvollständig. Der Name des besuchten Planeten wird darin ebenso wenig genannt wie nähere Hinweise zu den Bewohnern. Der hier zitierte Teil setzt mitten in der Beobachtung seiner Bewohner bei der Ausübung bizarrer Rituale ein.

„… im Zeitintervall, den die Bewohner dieses Sterns ´Dezember` nennen, bemächtigt sich ihrer eine ungeheure Unruhe, die sich rasch steigert und nach 24 Tagen in einer kollektiven Raserei entlädt. Ihre Bewegungen, die während der übrigen Monate durchaus gemächlich sind, beschleunigen sich derart, dass man den Eindruck gewinnen kann, sie wollen an verschiedenen Plätzen gleichzeitig anwesend sein, was ihnen freilich auf Grund ihrer bescheidenen physikalischen Fähigkeiten nicht gelingt. Dennoch versuchen sie es unbeirrt, was da und dort zu kritischen Situationen führt.
Besonders an jenen Plätzen, wo sie sich in Massen zusammenrotten, kommt es zu bedenklichen, an Revolten erinnernde Szenen. Mit geradezu wütender Entschlossenheit stürzen sie sich auf offensichtlich in zu geringen Mengen vorhandene Objekte, welche sie sich gegenseitig zum Teil unter Gewaltanwendung entreißen, um sie dann einem verstörten und schwitzenden Sklaven zu übergeben, der sie in bunte Behältnisse steckt und ihnen gegen Übernahme kleiner Papierlappen oder Metallstücke überlässt. Die Verlierer dieser Kämpfe werfen sich daraufhin mit verbissener Wut an anderen Orten erneut ins Getümmel um eventuell dort Beute zu machen. Am Ende scheinen aber alle irgendwie erfolgreich zu sein, denn wenn die Kampfstätten schließen, streben alle mit Unmengen der besagten Behältnisse in allen Farben und Größen beladen zu ihren Behausungen.
Dort werden die Beutestücke an schwer zu erreichenden Stellen sorgsam verwahrt, ja verborgen, um sie den Mitbewohnern vorzuenthalten. Besonders die klein gewachsenen Bewohner, die in einem eigenartigen Abhängigkeitsverhältnis zu den größeren zu stehen scheinen, werden eindringlich davor gewarnt, sich ihrer zu bemächtigen.
Wenn der Erschöpfungsgrad nach diesen Beutezügen seinen Höhepunkt erreicht hat, verlagern sich die Aktivitäten der Bewohner auf andere nicht minder kräfte- und zeitraubende Rituale, wobei eine gewisse Aufteilung der Tätigkeiten zu beobachten ist. In der Regel leben zwei größere Bewohner pro Einheit zusammen, die sich gewöhnlich ein bis zwei kleinere halten. Man kann sie an ihrer formalen Beschaffenheit und der Frequenz ihrer Lautäußerungen unterscheiden. Während das größere der beiden dominanten Wesen, nennen wir es das Alphawesen, klobiger ist und gutturale Laute ausstößt, bewegt sich sein Partner, es sei hier Betawesen genannt, geschmeidiger und zielstrebiger. Es wirkt insgesamt weicher, mit Rundungen und Ausbuchtungen an verschiedenen Teilen seines Korpus und äußert sich meist auch sanfter, bei Erregung gelegentlich im Hochfrequenzbereich.
Die kleingewachsenen Wesen befinden sich meist im Modus der Hyperaktivität, was bei den dominanten Wesen häufig Korrekturmaßnahmen auszulösen pflegt.
Das Alphawesen hat offensichtlich die Aufgabe, an bestimmten Plätzen ganz spezielle Beute zu machen. Dort sind riesige Mengen bizarr geformter, stacheliger grüner Objekte in verschiedenen Größen deponiert, die normalerweise außerhalb der Siedlungen auf weiten Flächen als lebendige Organismen vorkommen. Gelingt es dem Alphawesen ein geeignetes, nun allerdings lebloses Objekt zu erbeuten, was nach ausgiebigem Betasten und aufgeregten Interventionen mit ihrem Hüter meistens der Fall ist, schleppt es dasselbe zu seiner Behausung, wo es vorübergehend unterirdisch verwahrt wird.
Inzwischen ist das weniger dominante Betawesen innerhalb der Behausung in einem seltsamen rituellen Bewegungsablauf tätig. Es vermengt unterschiedlich konsistente Stoffe unter scheinbar beträchtlicher Anstrengung, teilweise auch mit rotierenden Instrumenten, zu einem amorphen Gebilde, teilt dieses anschließend in kleinere Einheiten und setzt sie in einem leuchtenden Kasten vorübergehender Hitze aus, was zu einer Verhärtung, Farb- und Formveränderung führt. Die kleingewachsenen Mitbewohner, die sich diese Objekte offenbar ohne Zustimmung der größeren anzueignen versuchen, können meist nur durch Drohgebärden unter Ausstoßung von Hochfrequenzlauten von der Beseitigung dieser mühsam gewonnenen Objekte abgehalten werden, was freilich oft nicht wirksam gelingt. Der Rest wird in massiven Behältnissen außer Reichweite der kleinen Beutegreifer verwahrt.
Am Höhepunkt der Massenhysterie hat der Reizpegel seine höchste Marke erreicht.
Schon bei Tagesanbruch werden die kleinen Gamma- und Deltawesen in verschließbaren Bereichen der Wohnplätze interniert. Dort werken sie bis zu ihrer Befreiung auf rätselhafte Weise an leuchtenden und oszillierenden Kästen, denen sie flüchtige Bilder und Geräusche entlocken.
Die dominanten Wesen sind mittlerweile in rasendem Tempo beschäftigt, die Behausung aufs Bizarrste zu verändern.
Das Alphawesen bearbeitet in der unterirdischen Deponie das tote stachelige Objekt mit gefährlich wirkenden Instrumenten und großer Verbissenheit. Es ist nicht ganz klar, was es bezweckt, doch nach geraumer Zeit verfügt es das bis zur Unkenntlichkeit entstellte Objekt in den Wohnbereich, wo es eine seltsame Verwandlung erfährt. Das Objekt umkreisend werden nach und nach kleinere Gegenstände unterschiedlichster Form und Beschaffenheit daran befestigt. Kritische Äußerungen des Betawesens, das über größere Kompetenzen zu verfügen scheint, führen dabei laufend zu Änderungen. Zuletzt wird ein Netz leuchtender und blinkender Stabelemente in Betrieb genommen. Ist dieses spirituell anmutende Ritual abgeschlossen, wird es von beiden Wesen mit Lauten und Gesten der Zufriedenheit zur Kenntnis genommen.
Nach sorgsamem Verschluss dieses Wohnbereiches, vermutlich um die kleingewachsenen Wesen am vorzeitigen Zutritt zu hindern, wenden sich die beiden dominanten Wesen weiteren Tätigkeiten zu.
Das Betawesen bearbeitet mit beträchtlichem Aufwand und unter Zuhilfenahme verschiedener Instrumente ein Objekt organischen Ursprungs, das das Alphawesen zuvor erbeutet hat. In lebendigem Zustand werden diese Objekte in eigenen Deponien außerhalb der Metropolen gefangen gehalten. Es scheint sich um Omegawesen mit geringen Rechten zu handeln, die zur allgemeinen Vernichtung bestimmt sind.
Unter Hitzeeinwirkung, Rauch und Geruchsentwicklung nimmt der bearbeitete tote Organismus den von den Bewohnern offenbar gewünschten Zustand an.
Trotz sinkendem Energiepegel steigern sich mit fortschreitender Zeit die Aktivitäten und erreichen nach Befreiung der kleinen Gamma- und Deltawesen ihren Höhepunkt.
Das Alphawesen hat die vor Tagen erbeuteten und sorgsam gehorteten Objekte unter dem toten Stachelobjekt in einem unklaren Bedeutungszusammenhang deponiert und letzteres mittels elektrischer Energiezufuhr illuminiert, was die kleinen Wesen in einen erregten Zustand zu versetzen scheint. Sie stürzen sich in offenbar zerstörerischer Absicht auf diese Objekte, reißen sie aus ihren bunten Hüllen und bearbeiten die Inhalte auf die ihnen jeweils angemessene und vorgesehene Art.
Die rituelle Beseitigung des zuvor zubereiteten toten Organismus unter schmatzenden und glucksenden Lauten sowie die osmotische Aufnahme unterschiedlich farbiger Flüssigkeiten beendet das unverständliche Treiben.
Die beiden dominanten Wesen kollabieren hierauf, was aber von den Gamma- und Deltawesen, die nun mit der Verwüstung des gesamten Wohnplatzes beschäftigt sind, nicht registriert wird ….“

Hier endet das rätselhafte Manuskript, dessen Exegese wohl die Wissenschaft beschäftigen wird, in deren Hände ich es vertrauensvoll übergebe, nachdem es der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wurde.

Text: Udo Fellner
Foto: Eugene Zhyvchik

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